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Pan y Arte – ein Erlebnisbericht

Im April 2007 hatten wir in unserer Kreisstadt Bergheim/Erft eine Konzertlesung mit Ernesto Cardenal und der Grupo Sal besucht. In der Pause lagen Teilnahmekarten für ein Preisausschreiben aus, bei dem es eine Projekt-Reise nach Nicaragua zu gewinnen gab. Mein Mann und ich füllten je eine Teilnahmekarte aus.

21. Mai: Am Abend ein Anruf von Henning Scherf, dem neuen Vorsitzenden von Pan y Arte. Er gratulierte mir zum gerade ausgelosten Gewinn der Reise – ich konnte es nicht fassen! Mittelamerika für mich plötzlich so nah!

Vom 6. bis 19. Februar 2008 fand die lang herbeigesehnte Projektreise dann statt. Am Vormittag des 6. Februar traf die kleine Reisegruppe von sechs Personen, darunter die Reiseleiterin Ulla Nimpsch-Wiesker, im Airport Madrid das erste Mal zusammen. Von hier aus ging der Flug in ca. 11 Stunden nach San Jose/Costa Rica und in weiteren 70 Minuten nach Managua, der grünen Hauptstadt unseres Ziellandes.

Der erste Tag in Managua brachte viele neue Eindrücke. Zuerst einmal genossen wir beim Frühstück auf der Gartenterrasse des Hotels in nur leichter Sommerbekleidung die bereits am Morgen angenehme Wärme. Dann machten wir Bekanntschaft mit unserem nicaraguanischen Reiseführer Mauricio, der uns erste Informationen zum Tagesablauf gab. Unser Busfahrer Mario brachte uns anschließend mit seinem Kleinbus durch die Stadt und auf die Loma, einer ziemlich zentral gelegenen Hügelkuppe. Blicke auf die Stadt zeigten uns die flache, bunt zusammengewürfelte Bebauung Managuas. Aus diesem ‚Flickenteppich’ ragen heute – nach dem zerstörerischen Erdbeben von 1972 – nur noch wenige markante Gebäude heraus: im ehemaligen Stadtzentrum die Ruine der alten Kathedrale und der benachbarte Nationalpalast, im weiteren Rund das Hochhaus der Banco de America, das alte Hotel Intercontinental und der sich nur mäßig hoch erhebende Neubau der heutigen Kathedrale mit ihrem weiß leuchtenden Kuppeldach.

Beim weiteren Rundblick in nordöstlicher Richtung sahen und hörten wir von den Defiziten beim Umweltschutz: Riesige Qualmwolken in unterschiedlichen blassen Farbtönen entsteigen den Müllhalden am Managuasee und seinem verseuchten Wasser. Noch immer dient der Stadt der See als Kloake.

Es folgte eine erste Begegnung mit der reichen und wechselvollen Geschichte Nicaraguas. In einem riesigen Bunker unter der Loma residierte einst Somoza, der besitzgierige und grausame Tyrann mit seinen Militärs. Mitten auf der Loma erinnert ein Denkmal von 1954 an die schlimme Zeit und ein altes Panzerwrack verweist auf die damals herrschende Gewalt.

In der Ausstellung ‚Sandino vive’ unterhalb der Loma erhielten wir interessante Informationen über Herkunft, Aufwachsen, Entwicklung, Kampf und schließlich die Ermordung des Widerstandskämpfers und Volkshelden Augusto César Sandino.

Am Nachmittag erfolgte unser erster, mit Spannung erwartete Projektbesuch bei Musica en los Barrios. Auf sehr schlechten, unbefestigten Straßen erreichten wir ein kleines, altes und ärmliches Gebäude in einem der zahlreichen, außerhalb des Stadtzentrums gelegenen Armenviertel, ein ehemaliges Bauernhaus mit primitiven, unhygienischen Sanitäranlagen. Die frühere Scheune war für den Projektunterricht zur Verfügung gestellt worden. Dort sahen wir Unterricht in Rhythmik, der von einem in der Musikerziehung weit fortgeschrittenen 14-jährigen Schüler erteilt wurde, welcher die Ambition hat, einmal ‚profesor’ zu werden. Dabei konnten wir uns von Eifer, Teilnahmefreude und Lernbereitschaft der Kinder überzeugen. Sicher spielt es im Bewusstsein dieser Kinder und deren Eltern schon eine Rolle, dass sie mit der Teilnahme am Unterricht bei ‚Musica en los Barrios’ eine ganz besondere und individuelle Förderung erhalten. Im öffentlichen Schulsystem Nicaraguas ist nämlich bisher und auch weiterhin kein Unterricht in kreativmusischen Fächern vorgesehen.

Später, im Büro von ‚Musica en los Barrios’ lernten wir Paola kennen, die junge nicaraguanische und selbst aus armen Verhältnissen stammende Lehrerin und Leiterin des Projekts in Managua. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit mit ihren Schülern und Kolleginnen, ihre Vorhaben, die Finanzierung und andere Schwierigkeiten und über ihren anscheinend so aussichtslos geträumten Traum eines moderneren Neubaus für eine zentrale Musikschule mit richtigen Übungsräumen.

Am nächsten Morgen fanden wir uns an gleicher Stelle wieder ein, wo seit 2001 ein weiteres Projekt von Pan y Arte, die Deutsch-Nicaraguanische Bibliothek steht. Das Grundstück war vor ca. 10 Jahren vom Bürgermeisteramt der Stadt den deutschen Freunden des Vereins ‚Bücherbus in Nicaragua’ zur Verfügung gestellt worden. Wir hatten Glück von der Deutschen Elisabeth Zilz persönlich empfangen, geführt und informiert zu werden. Auf ihre Initiative bedient der Bücherbus mit seinem nicaraguanischen Fahrer bereits seit 1987 entlegene und schwierige Gebiete mit seiner Ausleihe. Die Bibliothek war zum Zeitpunkt unseres Aufenthalts gut von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen besucht. Mit ihrem schönen gepflegten Ambiente in Lesesaal, Aufenthaltsraum und Garten und mit einer Auswahl von mehr als 10.000 Büchern, hat Frau Zilz die Deutsch-Nicaraguanische Bibliothek zu einem Anziehungspunkt von hohem Bildungs- und Freizeitwert gestaltet. Unser weiterer Bus-Transfer in nordwestlicher Richtung nach Leon gestaltete sich kurzweilig, da es an der Straße für uns manches Kuriose zu sehen gab, wie z. B. einen mächtigen Zuchtbullen, festgezurrt auf der winzigen Ladefläche eines kleinen Pick-up, oder ‚mutige’ Männer, die uns die von ihnen gefangenen Leguane zeigen oder zum Kauf anbieten wollten.

Bald führte unsere Straße entlang dem Managuasee und gab den Blick auf die Vulkane Momotombito und Momotombo frei. Der letztere, größere hatte im Jahre 1610 – nach einem zerstörerischen Erdbeben von 1609 – die Ruinen des alten Leon in einem mehrtägigen Ascheregen verschüttet. Darauf waren alle überlebenden Bewohner geflohen. Auf Veranlassung des Kulturministeriums wurden bis heute etliche Ruinen des ehemaligen Stadtkerns ausgegraben und von der UNESCO als Leon Viejo in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.

Nach der Besichtigung einer am Wege liegenden Ziegelei, in der luftgetrocknete Ziegel aus Lehm – sogenannte Adobeziegel – hergestellt werden, konnten wir das 40 km nordwestlich gelegene heutige Leon im Abendschein begrüßen.

Bevor wir uns am nächsten Morgen an die Stadtbesichtigung machten, durchstreiften wir erst einmal staunend die zentrale Markthalle. Buntes Treiben, ein in jeder Hinsicht vielseitiges Angebot sowie Gerüche aller Art umgaben uns und betörten manch einen. Die an ihren Fassaden durch die Witterungsverhältnisse teils geschwärzte Kathedrale gilt als einer der bedeutendsten Sakralbauten Mittelamerikas aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Vom Glockenturm und beim Rundgang auf dem Kirchendach bot sich uns ein guter Überblick über die Stadt mit ihren anderen zehn Kirchen, dem großen Platz mit dem Löwenbrunnen und – am Horizont im Nordosten – der beeindruckenden Vulkankette der Cordillera los Maribios.

Im Inneren der Kathedrale am Hauptaltar begegneten wir erstmals auf unserer Reise einer schwarzen Christusstatue.

Im nahe gelegenen Museum Rubén Darío, seinerzeit Dichter, das aus dessen ausgebautem Wohnhaus hervorgegangen ist, erhielten wir anschließend eine fachkundige Führung. Am frühen Nachmittag kehrten wir der Stadt erst einmal den Rücken. Mit den nötigen Badeutensilien ausgestattet wollten wir einen erholsamen Nachmittag am Pazifik-Badestrand bei Las Peñitas verbringen. Wetter und Stimmung waren perfekt, nur die Wellen, für meinen Geschmack, ein wenig zu kräftig und hoch. Zwischendurch stärkten wir uns erst einmal auf der offenen Restaurant-Terrasse mit Meeresblick an einem hervorragenden Fischessen. Es folgten noch Desserts und etliche Kaffees, bevor wir uns abwechselnd zum Meeressaum begaben, um nach schnellem, kurzem Nasswerden einen längeren Strandspaziergang zu machen.

Abends im Hotel hatte jeder noch viel mit dem Packen aller für die nächste Reiseetappe benötigten Kleider und Dinge zu tun. Das Abenteuer Regenwald mit Flussfahrt stand an. Der fünfte Reisetag begann zunächst mit der kurzen Besichtigung einiger Gebäude Leons. In der Iglesia de la Recolección konnten wir die sehr schöne dunkle Holzdecke aus Mahagoni und die hohen Relieftüren aus Zedernholz bewundern.

Das ehemalige Haus Nr.21 war während der Guerillakämpfe ein Gefängnis, in dem gefoltert wurde. Heute ist hier das Museo de Leyendas y Tradiciones mit Mosaikdarstellungen aus Legenden der Gegend an den Innenwänden des Eingangsbereichs.

Mit vielen Eindrücken verabschiedeten wir uns schließlich von Leon. Mauricio trieb zur Eile, weil wir unseren Inlandflug nach San Carlos um 1.30 p.m. ab Managua erreichen mussten. Unsere kleine Gruppe flog alleine mit der 12-sitzigen Cessna C208B Caravan. Während des 45-minütigen Flugs überquerten wir in seiner Länge den großen Cocibolca, wie die Indígenas den Nicaraguasee in ihrer Sprache Nahuatl nennen.

Nach ‚glatter’ Landung auf der recht unebenen Natur-Piste lernten wir bei einem kurzen Gang den Ort San Carlos mit seinem kleinen Hafen am SO-Ende des Sees kennen. ´ Mit dem wenigen Gepäck bestiegen wir dann das kleine Boot unseres Skippers Noel, und los ging es im sonnigen Nachmittagslicht in südöstlicher Richtung den Río San Juan hinab, der in den Atlantik entwässert.

Auf der Fahrt entdeckten wir immer mehr Vogelarten: zunächst nur die uns bekannten wie Graureiher und Eisvogel, zunehmend aber auch neue wie Seiden-, Kuh- und Silberreiher, Dohlengrackel, Schlangenhalsvogel und mehr. Als der goldene Abendschein sich ausbreitete und die Schatten länger wurden, bezogen ganze Vogelscharen ihre Schlafbäume. Das war für mich ein besonders schönes Erlebnis.

Noch ehe es ganz dunkel wurde, erreichten wir unser Nachtquartier, die Sábalos-Lodge. Das ist ein am Flussufer in den Regenwald gebautes Hotel eines Veterinärmediziners mit französischen Vorfahren.

Die Zimmer bestehen aus vielen einzelnen, auf Pfählen errichteten Bambushütten. Nach einem wohlschmeckenden, warmen Nachtessen musste sich jeder erst einmal mit seinem jeweiligen luftigen Pfahlbau arrangieren. Ich will nicht verschweigen, dass mir das anfangs etwas unheimlich war. Aber es gab wahrhaftig einen eigens vom Besitzer der Lodge angestellten Nachtwächter, der viel Verständnis zeigte und sich noch ein paar Mal an den Hütten hören ließ. Schließlich zog ich ein in das mitten im Raum stehende, sehr reinliche und total bequeme Bett, das mit einem großen weißen Moskitonetz verhüllt war. Was war das für ein unbeschreibliches Ur-Gefühl: entspannt und ‚im Freien’ da zu liegen und im In-den-Schlaf-Sinken den Einklang mit der Natur zu spüren!

Das hätte gerne länger anhalten dürfen, aber die Tiere im Wald und am Fluss erwachten sehr früh, und so konnten wir, lange vorm Wecken, ihren vielfachen Stimmen lauschen. Vor allem Brüllaffen (Monocongo), und Papageien machten lautstark auf sich aufmerksam. Ein herrliches Frühstück – wie schon gewohnt, mit frischem Saft und Früchten – im Freiluft- Speiseraum stärkte uns für den Bootsausflug zum stromabwärts gelegenen Indio-Maiz- Reservat. Vom Wasser her beobachteten wir bald vielerlei Tiere, darunter Tigerreiher und Seeadler, Kaiman und Leguan.

Auf halber Flussstrecke liegt der Ort El Castillo, über dem sich malerisch eine spanische Festung aus dem 17. Jahrhundert, die Burg El Castillo, erhebt. Ihre Besichtigung sollte auf sich warten lassen, bis wir auf unserem Rückweg geradewegs auf sie zulaufen würden. Das Naturschutzgebiet Indio-Maíz liegt auf militärischem Gebiet, was wohl mit der Nähe zur Grenze nach Costa Rica zu tun hat. Dort wurden wir von einem farbenprächtigen Tukan begrüßt. Ein ortskundiger Führer brachte uns, sobald wir pflichtgemäß Gummistiefel angezogen hatten, auf den schlammigen Pfad und über die etwa einstündige Runde. Wir genossen die schönen Einblicke in das vielfache Grün des Urwald-Dickichts und staunten über einzelne Baumriesen aus der Zeit des Primärwaldes. Die hörbaren dunkelbraunen Affen hielten sich stets auf Distanz und waren nur schwer zu erkennen. Sehr klein, nämlich nur 1,7 bis 2,5 cm lang waren in einigen Pfützen die giftigen roten Erdbeerfrösche mit ihren blauen Beinchen. Die Ausblicke von der rekonstruierten Ruine El Castillo waren so zauberhaft und romantisch, dass ich gern bereit war, die Gebühr für die Fotografier-Erlaubnis zu bezahlen. Wir verweilten hier oben einige Zeit und erreichten die Sábalos-Lodge mit unserem Boot erst, als es dämmerte.

Am anderen Morgen nahmen wir Abschied von der Lodge. Auf der Rückfahrt mit dem Boot über den San Juan hatten wir diesmal mehr Gelegenheit, auf die hier lebenden und am Fluss beschäftigten Menschen zu achten, zuerst im Ort Sábalos, der sich an beiden Ufern eines Seitenarms erstreckt, und dann auf der Weiterfahrt in Richtung Nicaraguasee. Der Himmel hatte sich inzwischen grau-schwarz verdunkelt, und bei unserem Tank- und Zwischenstopp in San Carlos ging ein schwerer Regenschauer nieder.

Auf der Weiterfahrt in westlicher Richtung auf dem See trockneten unsere Kleider wieder, und als wir nach einiger Zeit südlich in den Papaturrofluss einbogen, kam auch die Sonne zurück. Noel und Mauricio wetteiferten anscheinend darin, für uns besondere und für den Regenwald-Fluss typische Tierarten zu entdecken. Immer wieder stoppte Noel die Fahrt, um uns einen großen Leguan auf einem Baum, einen riesigen Kaiman (oder war es ein Krokodil?) in Ufernähe, besondere Vögel oder auf einem Baumstumpf eine Schildkröte zu präsentieren. Auch die pinkfarbenen Blüten einiger Bromelien im Baumdickicht oder die rot-gelb blühenden Helikonien im Ufergras waren allen einen Fotostopp wert.

Als wir beim Refugio de Vida Silvestre ‚Los Guatuzos’ anlegten, umfing uns schwüle Wärme. Nach einem bäuerlichen Mahl mit Reis, Bohnen, Kochbananen, Spaghettis, Thunfischsoße und einer frischen Orange begann die Führung durch das Naturschutzgebiet. Artenpflege, besonders die, der als Epiphyten in den Bäumen wachsenden Orchideen und der Palmen sowie die der Kaiman- und Schmetterlingsaufzucht zählen zu den Hauptaufgaben des Naturschutzgebietes.

Zurück beim Boot ermahnte uns Noel direkt zur Eile, da es schon 5 p.m. war und die programmgemäße Fahrt zum Solentiname-Archipel mehr als noch eine Stunde beanspruchen sollte. Kaum hatten wir den ziemlich engen Papaturrofluss zum See hinaus verlassen, da heizte Noel dem Motor auch schon kräftig ein. Schließlich erreichten wir unser Hotel auf der Insel San Fernando, glücklich, nach einem Tag voller starker Erlebnisse an diesem schönen Flecken Erde angekommen zu sein.

Der folgende Morgen begann mit einer Bootsfahrt für Naturgenießer: Ganz langsam und dicht trieben wir an einem nur von Tieren bewohnten Inselchen vorbei. Zahlreiche uns bekannte und nicht bekannte Vogelarten waren hier in großer Anzahl vorhanden. Das Ziel unseres Ausflugs war aber Mancarron, die größte Insel des Archipels. Hier hatte Ernesto Cardenal von 1965 an als Priester gewirkt und bereits 1966 seine ‚comunidad’ (klosterartige Genossenschaft) gegründet. Hier schrieb er sein in Deutschland bekanntestes Buch ‚Das Evangelium der Bauern von Solentiname’ und von hier aus stand er in Kontakt zur Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) Wir besuchten ‚seine’ Kirche, einen größeren, sehr einfachen, nur etwas mit naiver Malerei ausgeschmückten Ein-Raum-Bau, dessen eine Giebelseite zur Hälfte aus farbigen Glasfenstern besteht. Dann ging es weiter durch die zugehörige kleine Siedlung zu Cardenals ehemaligem Wohnhaus, in welchem er noch immer wohnt, wenn er sich auf Solentiname – und nicht gerade, wie zum Zeitpunkt unserer Reise, auf Tournee – aufhält. Das kurze Verweilen in seinen Wohnräumen beeindruckte mich stark und am Ende schätzte ich mich glücklich, hier gewesen sein zu dürfen. Nun begaben wir uns aber zum nur wenige Gehminuten entfernten Künstlerdorf. Ein Schnitzer zeigte uns, wie er aus dem leichten, weichen Balsaholz Tierfiguren schnitzte. An einem Tisch auf der Terrasse war seine Frau damit beschäftigt, die geschnitzten Tiere hübsch in warmen Farbtönen anzumalen. Auf einem anderen Tisch waren fertige, getrocknete Tiere in unterschiedlichen Größen zum Verkauf ausgestellt. Die Preise in Cordoba oder US $ waren für uns relativ niedrig, so dass sich jeder von uns mit einem kleinen Vorrat an Tierfiguren eindeckte.

Zurück auf San Fernando ergründeten wir nach dem Essen unsere Insel. Der Seewind machte den kleinen Fußmarsch in der Nachmittagshitze erträglich. Ein kleines, am Berghang gelegenes Museum zu Natur und Geschichte von Solentiname und seinen Bewohnern, zeigte uns Leben und Arbeiten der hier ansässigen Menschen und u. a. auch einige wenige Exemplare besonders schöner naiver Malerei.

Der Rückweg führte an den, zwischen Bäumen eingebetteten Hütten der einheimischen Bevölkerung von San Fernando vorbei. In einer Hütte erstand ich von der Künstlerin selbst ein Bild, das in sehr zarten Farben einen geheimnisvollen Urwaldfluss darstellt. Etwas weiter konnten wir in einer Ausstellungshalle besonders schöne Bilder bewundern und kaufen.

Wieder beim Hotel angelangt, bot sich uns eine weitere hübsche Tierbegegnung: Eine Schildkrötenfamilie sonnte sich behäbig am Seeufer und ließ sich geduldig fotografieren. Während nun die meisten von uns noch den auf der anderen Seite des Hotels gelegenen Teil des Dorfes auskundschafteten, zog ich mich ein wenig zurück. Auf der Terrasse genoss ich noch einmal die Ausblicke auf See und Inseln bei Sonnenuntergang und hereinbrechender Dämmerung, bis sich unsere Gruppe auf jeden Fall sehr zufrieden wieder zum leckeren Nachtessen einfand.

Schon um 7 Uhr Morgens trieb uns Noel zum Aufbruch nach San Carlos an, von wo unser Flieger um 9.15 Uhr nach Managua abheben sollte. Eine Stunde später mussten wir uns von ihm verabschieden und auch vom Städtchen San Carlos. Zwei Taxis brachten uns schnell zum Flughafen oder, genauer gesagt, zum Flugabfertigungsgebäude, das kaum mehr darstellt als eine wenig komfortable Baracke.

Nach dem Start hatten wir schöne Ausblicke auf die einmalige Vulkaninsel Ometepe und später auf unser letztes Ziel, die Kolonialstadt Granada mit ihren ca. 350 ‚isletas’, bevor wir nach weiteren 12 bis 15 Minuten sicher wieder in Managua landeten.

Hier wartete bereits unser freundlicher Fahrer Mario mit seinem kleinen Bus, um sich gleich mit uns auf den Transfer nach Granada zu machen.

Schon auf dem ersten Kilometer durch Managua fuhren wir wieder an sogenannten Freihandelszonen vorüber, die von hohen Mauern mit sicheren Toren umgeben sind. Hier investieren zumeist ausländische Firmen (natürlich und zuallererst) in eigenem wirtschaftlichen Interesse, wenngleich dabei auch dringend benötigte Arbeitsplätze entstehen.

In den ‚maquilas’ – Zuliefererbetrieben ausländischer Auftraggeber – werden nämlich vor allem junge, oft kinderreiche und alleinerziehende Arbeiterinnen schamlos ausgebeutet. Um überhaupt eine Arbeit zu finden, sehen sich die Frauen genötigt, hier unter vergleichsweise schlechteren, krankmachenden und diskriminierenden Bedingungen 48 Wochen- plus meist nicht vergütete Überstunden zu arbeiten. Zur Deckung der Grundbedürfnisse (ca. 150 US $) reicht der Lohn nicht! Am meisten haben darunter die Kinder der Arbeiterinnen zu leiden.

Am frühen Nachmittag in Granada führte unser erster Gang vom Hotel ins Zentrum der Stadt, zu der nahe beim Parque Central an der Plaza de Los Leones gelegenen Casa de Los Tres Mundos. Dieses historische Gebäude ist seit 1992 Internationales Kulturzentrum und ein großes Projekt von Pan y Arte. Hier waren wir verabredet mit dem österreichischen Projektleiter Dieter Stadler, der uns mit unserem Bus in ein außerhalb der Stadt gelegenes Armenviertel begleitete, um einmal mehr Einblick in einen Projektunterricht nehmen zu können. Diesmal sollte die künstlerische Kreativität der Kinder durch genaues Hinsehen und Abzeichnen einer Bildvorlage geweckt werden.

Ein kurzer Gang durchs Viertel führte uns zu einer langen, oben mit Stacheldraht versehenen Mauer, die zur örtlichen, weiterführenden Schule gehört. Hier hatten Schüler höherer Klassen mit einer ansprechenden Bemalung ihre Ängste, Sorgen, Wünsche und Hoffnungen zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig hatten sie damit auch Farbe in die Tristesse des Armenviertels gebracht.

Zurückgekehrt in die Stadt, konnten wir noch einem Teil vom Programm des Festival Internacional de Poesía beiwohnen, das seit vier Jahren jeden Februar mit viel Erfolg in Granada stattfindet. Auch als wir dort eintrafen, war das Festival gut besucht.

Später kamen noch mehr Leute, um beim Carnaval Poético, einem Umzug von maskierten Gruppen und Einzelpersonen sowie Musikkapellen und Pferdekutschen mit dabei zu sein. Das war für alle ein herrliches, farbenfrohes Spektakel!

Am 10. Reisemorgen führte der Weg zunächst zu der unweit des Hotels gelegenen, um 1780 erbauten Kirche La Merced, an deren Giebel-Eingangsseite sich ein großes Atrium befindet.

Nach einer kurzen Besichtigung war es nun aber unser Ziel, die Casa de los tres mundos genauer kennen zu lernen. Am alten Löwentor, das vom ehemaligen Gutshof einzig erhalten geblieben ist, machte uns Dieter Stadler mit der Baugeschichte bekannt. Seine Führung begann im ersten – oft für Freiluft-Konzerte genutzten – Innenhof, gefolgt vom zweiten Innenhof, der idyllisch mit Brunnen und schönen Pflanzen bestanden ist. Im Kleinen Saal erklärte uns Dieter Stadler, welche baulichen Maßnahmen zur Verminderung der Hitze zweckmäßig sind. Wir warfen einen Blick von der Terrasse im ersten Stock hinüber zur Kathedrale, zum Parque Central und auf die belebte Plaza de los Leones. Zur anderen Seite erblickten wir auf dem Boden vom ersten Innenhof in der mosaikartigen Pflasterung das Gesicht von Dietmar Schönherr. Ihm zu Ehren – der zusammen mit Ernesto Cardenal das ‚Haus der drei Welten’ als Kulturzentrum initiiert hatte – war anlässlich seines 80. Geburtstags dieses Pflastermosaik gearbeitet und in Anwesenheit gewidmet worden. Stolz zeigte uns Dieter Stadler auch die Druckgrafikwerkstatt mit ihrem ‚Schätzchen’, einer gespendeten Druckpresse und den erst kürzlich fertiggestellten Aufführungssaal. Die in der Malereiwerkstatt beschäftigten Künstler freuten sich, mal wieder das eine oder andere Bild an Mitglieder unserer Gruppe verkaufen zu können.

Nach einem Mittagsimbiss machten wir einen Ausflug zum Volcano Mombacho. Mit einem Taxi ging es los. Am Berg hieß es auf einen allradgetriebenen LKW umzusteigen. Nach einer 20-minütigen, sehr steilen und rumpeligen Anfahrt auf schmalem, aber befestigtem Sträßchen erreichten wir die Estación Biológica (1.150 m ü. M.), von wo aus wir uns auf dem Sendero El Cráter alleine ‚durchschlagen’ mussten. Dabei durften wir nicht trödeln, weil der letzte LKW abwärts bereits in 1 ¼ Stunde fahren sollte. Kein Problem – dachten wir – denn der zeitweise kalte Wind und die tief hängenden Wolken, die uns beim Blick in den bis unten hin grün bewachsenen Krater frösteln ließen, verleideten uns ohnehin ein längeres Verweilen.

Etwas mehr Zeit verbrachten wir dann doch mit Lesen bzw. Übersetzen der erläuternden Texte auf den überall am Pfad aufgestellten hölzernen Tafeln. Beim Mirador Los Quemados wuchsen prächtige, feuerrot und orangerot leuchtende Orchideen, und der Ausblick zum Cocibolca gefiel mir auch ohne Sonnenschein. Auf dem letzten Wegstück mussten wir uns dann aber doch sputen, und am Ende fing es auch noch an zu regnen.

Am vorletzten Tag fand unser Ausflug zum Vulkan Masaya und in die Umgebung des gleichnamigen Ortes statt. Nach etlichen Autokilometern hielt Mario den Bus vor einem Schild an: ‚Valle de Roca Volcánica – Colada de Lava 1772’. Der dunkelbraune, zerklüftete Lavastrom ist hier beeindruckend. Bald darauf standen wir an der Mauer beim Parkplatz, die beim atemberaubenden Blick in den großen, stoßweise schweflige Dämpfe abgebenden Krater Sicherheit gibt. Um noch mehr zu sehen, stiegen wir über die Treppe zum Aussichtspunkt Mirador Cruz de Bobadilla mit weitem Blick über die drei nebeneinander liegenden Krater und die einst weithin von der Lava überflossene Landschaft. Von einem etwas höher gelegenen Standort hatten wir schöne Ausblicke auf die interessant geformte Umgegend und in einen weiteren, älteren Krater, der schon ganz mit Grün bewachsen war.

Nach diesem spannenden Besuch fuhren wir – Touristen eben – zum Einkaufen unserer letzten Souvenirs im größten Kunsthandwerksmarkt des Landes in Masaya. (Ein Bummel dort lohnt sich wirklich). Danach, schon auf dem Heimweg, statteten wir auch dem Blumendorf Catarina, an der schönen, blauen Apoyo-Lagune gelegen, einen Besuch ab. Lauter hübsche fotogene Anblicke und eine Musikgruppe, die in der späten Nachmittagssonne spielte, erfreuten unsere Gemüter.

Der Abend endete mit einem Freiluft-Konzert: Concierto Musical del Cantautor Carlos Mejía Godoy. Dabei ließ ich bei mir unsere Nicaragua-Reise mit ihren vielen interessanten Eindrücken und ihren spannenden, abenteuerlichen, erfreulichen und manchmal auch bedrückenden Erlebnissen Revue passieren.

Sonntag, der 17.02.2008, unser letzter Reisetag, führte uns zum Dorfbau-Projekt nach Malacatoya. Den größten Teil der Strecke ging die Busfahrt über eine buckelige Naturstraße am Ufer des Nicaraguasees entlang, vorbei an einigen mit ihren Kleidern im See badenden Indios, an einzelnen Hütten, an der – wie oft gesehen – am Stacheldraht aufgehängten Wäsche. Neben der Straße gab es vorwiegend mit Stacheldraht eingezäunte Weiden, teils mit Bäumen bestanden, später auch Reisanbau. Nachdem wir mit einer recht abenteuerlichen Fähre bei El Paso den Tipitapa, der die beiden großen Seen verbindet, überquert hatten, erreichten wir bald das alte Malacatoya. Es sind die Reste der Siedlung, die nach Hurrikan Mitch und der durch ihn verursachten Überschwemmung 1998 übrig geblieben waren. Etwas weiter gelangten wir in die neue Siedlung gleichen Namens. Hier gibt es inzwischen 135 neu erbaute Häuser aus Schüttbeton, ein Schulgebäude für 6 Klassen mit einer großen Grasfläche. Darauf haben die Bewohner große Skulpturen aufgestellt, die gleichzeitig der Begegnung mit ihrer Kultur und als Pausenspielgeräte dienen. Inzwischen wurden auch ein Gesundheits- und ein Gemeindezentrum im neuen Dorf gebaut, alles unter Mitarbeit der hier lebenden Familien.

Arbeitsplätze sind entstanden in der Bananenplantage und in dem kleinen Betrieb zur Herstellung handgeschöpfter Papiere sowie erst neuerlich in Imkerei und Ziegelei. Darüber hinaus werden Kurse abgehalten zur Kinder- und Frauenförderung.

Wir erfuhren auch von den Problemen in Malacatoya. So ließe sich die Menge der hier hergestellten Papiere verdoppeln, aber Marketing und Design müssten noch mehr ausgefeilt werden. Zudem ist die Gegend sehr fruchtbar und demzufolge reich an landwirtschaftlichen Produkten, aber die Kosten für den Transport fressen mögliche Gewinne gleich wieder auf. Nicht zuletzt gibt es noch eine größere Anzahl von Leuten, die bisher keine festen Häuser bauen konnten, weil die Mittel aus dem Notfond von 1998 lange erschöpft und größere Geldsummen nur schwer aufzutreiben sind. Der junge Bürgermeister blickt dennoch optimistisch in die Zukunft: Viel ist schon geschafft und auch diejenigen, die bisher noch keine festen Häuser haben bauen können, wirken freundlich, selbstbewusst und Stolz. Am Abend dieses letzten Tages wurde gepackt. Danach fand auf der gemütlichen Terrasse eines guten Restaurants in Granada unser Abschiedsessen statt, das uns von der Reise-Agentur ‚Oro Travel’, die uns auch Mauricio u. a. m. vermittelt hatte, spendiert wurde. Wir alle waren froh und mit dem Verlauf der Reise sehr zufrieden.

Nachdem die Reise nun gut vier Wochen zurückliegt, bin ich emotional noch immer ‚ganz nah dran’, wenn ich an sie denke, wenn Bilder – CDs von den Mitgereisten eintreffen oder wir uns sprechen oder mailen. Uns Reiseteilnehmern bleiben die vielen einmaligen Eindrücke und besonderen Erinnerungen an Nicaragua. Von diesem Land wusste ich vor dem Reisegewinn kaum mehr, als dass das Volk dort lange unterdrückt war, dass es Guerillakämpfe mit schweren Verlusten gegeben hatte und dass Nicaragua zu den ‚armen Ländern’ gehört. Jetzt interessiere ich mich wirklich für Nicaragua und erwarte gespannt die ‚noticias’ von Pan y Arte und lese sie mit Neugier.

25.04.2008
 
Besichtigungstour in Managua in Nicaragua


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